Unsere Familie hatte schon immer die traurigsten Beerdigungen, weil es bisher immer die Menschen traf, die man am allermeisten mochte.
Gestern haben wir eine liebe alte Tante auf ihrem letzten irdischen Weg begleitet - den Weg in himmlische Sphären trat sie bereits am vergangenen Samstag an und nach meinem Bibelverständnis steht sie jetzt geläutert wie Gold und mit einem neuen unverwüstlichen Leib angetan in der vordersten Reihe und singt mit ihrer bereits zu Lebzeiten lauten Stimme ihre geliebten Paul-Gerhardt-Lieder zur Ehre ihres Herrn vor dem großen Thron - an ihrer Seite steht ihr Ehemann, von dem wir vor zwei Jahren Abschied genommen haben.
Uns Hinterbliebenen bleibt eine Vielzahl schöner Erinnerungen an gemeinsam verbrachte Abende mit Kartenspielen, den Erzählungen von der Vertreibung aus der alten Heimat Wolhynien, die wir als Kinder nicht mehr hören konnten und die uns heute so sehr fehlen, und - wie es sich für eine große Familie gehört - dem neusten Klatsch aus dem kleinen Dorf, in dem beide 48 gemeinsame Jahre verbracht haben.
Mit den beiden haben wir nun das entscheidende Puzzleteil verloren, dass in den vergangenen Jahren die große Familie noch einigermassen zusammenhielt.
Die kleine Friedhofshalle hatte nicht genug Platz für die vielen Menschen, die sie auf ihrem letzten Weg begleiteten und die Predigt wurde für diejenigen, die drinnen keinen Platz mehr fanden, per Lautsprecher nach draußen übertragen.
Die Zeremonie war sehr schön, obgleich der Pfarrer nicht viel Persönliches sagen konnte, da er seinen Dienst im Ort erst vor zwei Jahren antrat, meine Tante erst während ihrer Krankheit kennenlernte und ihre lebendige, aufmunternde Art nicht mehr erleben durfte.
Meine Mutter, die neben mir saß, hatte während der Zeremonie Stella auf dem Schoß und fütterte sie mit Gummibärchen, was nicht nötig gewesen wäre, denn sie nahm die Atmosphäre auf machte keine Anstalten, sich wie gewohnt lebhaft zu verhalten.
Mein Vater platzierte sich in einer Ecke hinter einem riesigen Bouquet aus orangefarbenen Gerbera und gelben Nelken und schwor mir später auf dem Vorplatz Stein und Bein, daß er nicht eingenickt sei.
Die Kaffeerunde fand im vollbesetzten Bürgerhaus statt und man verteilte sich den jeweiligen Clans gemäß. Da meine Mutter nach ihrer Heirat weggezogen ist, kenne ich viele Menschen aus dem kleinen Ort nicht oder nur vom Sehen und wundere mich immer wieder, daß die Leute mich kennen, was an der Ähnlichkeit mit meiner Mutter liegen mag. Wer sich mit der Familienähnlichkeit schwertut, der rät einfach so lange bis er den richtigen Clan gefunden hat, dem ich angehöre, denn die Frauen unserer Sippe ähneln sich alle ein wenig. Vor der Tür baute sich ein Mann in den Neunzigern auf, blickte mich ein paar Minuten lang an, bis sich seine Miene erhellte, er bohrte mit dem Zeigefinger in die Luft und rief "Australien!". Hätte ich seine Frage bejaht, wäre mein Cousin die ganze Woche lang nicht vom Telefon weggekommen, weil er Auskunft hätte geben müssen, ob denn "die Australier noch da sind". Sind sie nicht (könnten sie aber mal wieder...) und stattdessen sagte ich "nein" und nannte den Namen meiner Mutter - das Grinsen des alten Mannes wurde noch ein bißchen breiter und er sagte "ach so". Auch wenn ich dort nicht aufgewachsen bin, dort bin ich wer - die Tochter einer Frau, die dort jeder kennt und mag. Ein Stückchen Heimat in der Fremde.
Wieder im Elternhaus angekommen, zog ich das Kleid aus, daß ich meiner Mutter zuliebe angezogen hatte ("Mach mir ja keine Schande und zieh was ELEGANTES an!" - "Gut, ich nehm das schwarze Kleid --- ob da wohl Flip-Flops zu passen ???" - "....") - und saß noch eine Weile mit dem Nachbarn auf dem Steg am kleinen See im Garten - Programmänderung zwecks Abschalten.
Der Tag ist vorüber und am Wochenende versuche ich, die wunderbare Torte nachzubacken, die meine Tante immer an den Festtagen servierte und nach deren Rezept ich sie leider nicht mehr fragen konnte.....
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